Die roten Schuhe -
eine Frage des Standpunkts

 

 

Der Lotusfuß in China

In den oberen Gesellschaftsschichten Chinas galten kleine Füße als
Zeichen von Luxus und Vornehmheit. Die Verformung der Mädchen-
füße begann zwischen dem vierten und achten Lebensjahr. Dabei wurden
die vier kleinen Zehen unter die Fußsohle gebunden. Nach zehn Jahren
solcher Behandlung blieben sie auch ungebunden unter der Sohle liegen.
Auf diese Weise wurde der Frauenfuß nicht größer als 13 bis 14 Zenti-
meter. Der Gang wirkte entsprechend unbeholfen.

Die Frauen der höheren Gesellschaftsschichten hatten den Vorteil, dass
sie nicht gehen mussten, weil sie in der Sänfte getragen wurden. Prinzes-
sinnen wurden bereits mit zwei Jahren bandagiert, so dass ihre Füße im
Erwachsenenalter kleiner als neun Zentimeter blieben.

Man glaubte, dass die sexuelle Bereitschaft der Frau aufgrund der verän-
derten Blutzirkulation erhöht wird. Im Gegensatz zu den Genitalien stellte
der Fuß im alten China ein Tabu dar. Auf alten Holzschnitten wurde alles
gezeigt - nur nicht die Füße. Die Frauen nähten, bestickten und bemalten
die Schuhe selbst. Der Schuh für den Lotusfuß bestand aus Seide und
wurde mit Borten, Quasten usw. verziert. Die Fersenflächen waren wattiert
und hatten einen niedrigen Absatz. Dazu gab es Überschuhe aus Leder mit
hohen Absätzen.

Die Fußverkrüppelung wurde beschönigend als Gin-Lien (Goldene Lotus-
blüte) bezeichnet. Diese Sitte wurde über tausend Jahre lang gepflegt;
sie hatte ihren Anfang in der Tang-Dynastie im 10. Jahrhundert. Dort soll
die Lieblingskonkubine des Kaisers Li Yü von Natur aus kleine Füße ge-
habt haben. Alle Damen des Reiches versuchten daraufhin, diesem Vorbild
nachzueifern. Mit der Gründung der Volksrepublik 1911 wurde das Binden
der Füße verboten.

Zusammengefasst aus einem Artikel von Peter Watzl: "Damenfüße -
gebunden, gestelzt und gestöckelt"
in "Die verlassenen Schuhe"/Rheinisches Landesmuseum Bonn,
Edition Braus